Eine Wanderung mit Höhen und Tiefen

Donnerstag, 4. 8. 2011
Es ist soweit. Ich nehme die Haute Route in Angriff. Von Chamonix nach Zermatt. Vom Mont Blanc zum Matterhorn. Vom höchsten zum schönsten Berg Europas. Von Frankreich in die Schweiz. 14 Tagesetappen warten auf  mich, oft nahe am 3000er. Schon seit beinahe zwei Jahren liegt der (englische) Reiseführer von Kev Reynolds bei mir herum, seit da habe ich immer wieder darin herum geschmökert und Lunte gerochen. Jetzt wird das Ding in die Tat umgesetzt.
Ich starte früh morgens um 6:30Uhr zu Fuß von meiner Wohnung in Richtung Dornbirner Bahnhof. ÖBB, SBB und SNCF bringen mich via Bregenz, St. Margrethen, St. Gallen, Lausanne, Martigny und Vallorcine nach Chamonix. Alle sieben (!) Züge sind absolut pünktlich, das Umsteigen klappt bestens.
Um in Chamonix erst mal richtig anzukommen, schlendere ich eine Weile durch die Fußgängerzone. Er herrscht reger Betrieb hier. Der Anblick des Mont Blanc ist fantastisch.
Mir wird bewusst, was ich für ein Wetterglück habe, denn die Sonne scheint heiß, der Himmel ist blau und die Berge sind nur von ein paar einzelnen Wolkenfetzen umgeben. Nachdem ich mich sattgesehen und vom Trubel in Chamonix genug bekommen habe, laufe ich in ca. 2 Stunden die unspektakuläre erste Etappe nach Argentiere. Das von mir ins Auge gefasste Hotel finde ich auf Anhieb und schaffe sogar – dem Wifi-Anfängerkurs in Französisch sei Dank – mich soweit zu verständigen, dass ich ein Zimmer bekomme. Danke, Cecile – du hast gute Arbeit geleistet. Das Hotel liegt am Ortseingang, so dass ich ein Stück laufen muss, um abends in Argentiere etwas zu essen zu bekommen.
– Ich habe heuer ziemlich viel Respekt vor der Tour und hoffe, dass alles gut geht. So ganz alleine durch die Walliser Alpen, über steile Pässe und außerdem über Gletscher: damit habe ich noch überhaupt keine Erfahrung. Ich habe vor, die gefährlicheren Stellen nicht alleine zu machen. Aber es wird schon klappen, werde schon jemanden finden. Morgen geht’s erstmals richtig zur Sache: Hinauf auf den Col de Balme. Ich weiß jetzt schon, dass das moralisch für mich hart werden wird. Der zweite und der dritte Tag. Jaja. As usual.
– Der Reiz an den Fernwanderungen geht verloren, wenn man weiß, dass man es schaffen kann. Die Via Valtellina war ja ein Klacks und so gar keine Erfüllung mehr. Kein Vergleich zur Via Alpina im Jahr davor. Deshalb heuer auch die Steigerung, was das alpine Gelände betrifft. Aber – ich habe das auch schon zuhause gesagt – das wird wohl die letzte Fernwanderung für längere Zeit sein. Toppen kann man die Haute Route in Europa wahrscheinlich nur noch mit extremer Länge – und das ist definitiv kein Ziel von mir.


Freitag, 5.8.2011
Bin gestern früh ins Bett und habe auch gut geschlafen. Beim Frühstück treffe ich auf eine Truppe von geschätzten 8 Bikern aus der Bodenseegegend, welche die Tour de Mont Blanc gemacht haben. Heute ist ihr letzter Tag. 220km, 9000hm, aber viele Schiebestrecken – so deren Zusammenfassung. Beim zahlen der Hotelrechnung werde ich vor Gewittern am Nachmittag gewarnt.
So beschließe ich, es heute zügig anzugehen. Nachdem gestern noch der „Petit Balcon Sud“ begangen wurde, ist heute sein Kollege im Norden dran, ein schöner Waldweg führt in ca. 1h nach Le Tour. Dort gäbe es die Möglichkeit, mit der Seilbahn einen Teil des Anstiegs auf den Col de Balme abzukürzen. Ich entscheide mich aber auf die Aufstiegshilfe zu verzichten.
Dafür werde ich immer wieder mit fantastischen Ausblicken auf den Mont Blanc belohnt.
Schon bald erreiche ich den Pass, welcher gleichzeitig auch die Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz markiert.
Interessant – auf der französischen Seite hat der Pass 2191hm, die Schweizer Tafel zeigt 2204hm. Nach einer kleinen Stärkung kann ich aus 3 Abstiegsvarianten wählen. Ich nehme die angeblich schönste, welche jedoch auch die längste ist. Dafür ist der Ausblick auf den Glacier de Trient dann echt sehenswert.
Auf und ab geht es über Steinhalden nach Les-Grands, wo eine spektakuläre Felsstufe überwunden werden muss.
Dann verliert der Weg schnell an Höhe, bis am Chalet du Glacier ein beliebtes Ausflugsziel erreicht ist. Von da geht’s dann ganz gemütlich der Bisse de Trient bis zum Col de la Forclaz (1528hm), dem  heutigen Etappenziel.
Bisse – das sind alte Kanäle, mit denen die Walliser das Wasser gezielt umleiten, um ihre Felder zu tränken. Apropos Wasser: bis auf ein paar Regentropfen kurz vor dem Chalet du Glacier ist der erwartete Regen ausgeblieben. Die Wolken zeigten (und zeigen immer noch), dass sie könnten, aber zum großen Showdown haben sie noch nicht angesetzt. Aber langsam wird’s dunkel…
Ich krieg einen Platz im Massenlager – naja, wenn man bei 7 Betten von Massen reden kann. Nach einer heißen Dusche kriegen die Füße noch eine Einreibung, welche auch dringend notwendig ist – die Fußsohlen jammern ziemlich laut.
– Was die Moral betrifft, geht es heute besser als erwartet. Lediglich beim Anblick des Fenetre d´Arpette, welcher eine Variante der morgigen Etappe ist, habe ich eine leichte Krise gekriegt. Werde wohl die leichtere Bovine-Variante nach Champex wählen.
Es beginnt dann doch noch stark zu regnen, Blitz und Donner bleiben aber aus.



Samstag, 6.8.2011
Der Tag hat´s in sich – aber alles der Reihe nach.
Nach einem spärlichen Frühstück laufe ich im Bummeltempo los. Der Himmel ist immer noch wolkenverhangen – ich entscheide mich für die einfachere Bovine-Variante.
Gleich zu Beginn fällt dann auch noch leichter Regen – was aber nicht weiter stört.
Es dauert lange, bis mir der erste Wanderer begegnet. Er meint, auch ich sei seine erste Begegnung des heutigen Tages. Er macht die Tour de Mont Blanc – wie so viele hier. 100.000 pro Jahr – meint Mr. Kev Reynolds.
Sogleich erreiche ich die erste Alpe. Interessante Kühe haben sie hier im Wallis: Viel Fleisch – wenig Milch. Und ja – es sind Kühe, keine Stiere. Es geht weiter aufwärts, bis ich beim Portalo auf 2049hm den höchsten Punkt des heutigen Tages erreiche. Auf einer Alpe knapp unterhalb mache ich Rast. Mit der Zeit begegnen mir immer mehr TMB-Wanderer. Ich frage mich, warum die so viel Gepäck (Schlafunterlage, Zelt, …) mitschleppen?
Aber wahrscheinlich sind die Unterkünfte meist voll und da brauchen sie eine Notlösung. Es folgt ein steiler Zick-Zack Abstieg über rutschiges Gelände. Man merkt, dass es gestern ordentlich geregnet hat. Sobald das Tal erreicht ist, wird der Weg wieder flacher und endet schließlich in einer Forststraße, welche die Alpe Plan de l´Au passiert. Das steigt der Weg wieder an, ich komme an Champex d´en Bas und Champex d´en Haut vorbei. Die Gegend erinnert mich stark an den Nenzinger Himmel. Schließlich erreiche ich kurz nach ein Uhr Champex Lac.
Am See mache ich erst mal ordentlich Pause. Da der Tag ja direkt zum Laufen einlädt – es ist nicht zu heiß, nicht zu kalt und inzwischen trocken – entscheide ich mich, die nächste Etappe nach Sembrancher und Le Châble noch anzuhängen. Es sind ca. 750hm auf der Strecke nach Sembrancher abzubauen, was mal steiler, mal flacher von statten geht.
Den Beinen geht’s noch gut, doch moralisch krieg ich einen vollen Hänger. Ich schleppe mich nach Sembrancher und nehme den Zug nach Le Châble. Der Bahnwärter ist der Beste: Auf dem rundum einsichtbaren Bildschirm, der eigentlich zur Beobachtung der Geleise und der Bahnsteige gedacht ist, schaut der seelenruhig einen japanischen Schulmädchen-Softporno. Tja – eindeutig zu wenig los am Bahnhof Sembrancher.
In Le Châble ist dann das Hotel meiner Wahl wegen Renovierung geschlossen und ich irre ½h herum, bis ich eine Alternative gefunden habe. Es ist an der Zeit, meine Kleider mal ordentlich zu waschen und da keine Laundrette zu finden ist, muss das Waschbecken herhalten.
- Ich erlebe heute einen absoluten Tiefpunkt. Das Laufen kommt mir so sinnlos vor. Ich finde es ziemlich überflüssig, hier alleine im Wallis herumzulaufen, wo ich doch zuhause größere Probleme lösen sollte. Und das geht von hier aus nur schlecht.


Sonntag, 7.8.2011
Es regnet die ganze Nacht durch. Ich erwache um  sechs – es regnet. Leg´ mich nochmals hin bis 8 – es regnet. Trotzdem will ich weiter. Ich fasse den Entschluss, mit der Seilbahn nach Verbier hochzufahren – 1650hm im Regen sind mir dann doch zu viel. Den Poncho schon in der Hand, verlasse ich das Hotel. Der Regen macht gerade eine Pause, so komme ich trockenen Fußes zur Talstation. Während der Gondelfahrt hat man tolle Aussichten auf Verbier.
Das nenne ich mal einen Wintersportort. Hotels wohin man blickt. Lech und Zürs gehen da grad mal als noble Vororte durch. Oben angekommen regnet es immer noch nicht – es scheint sogar heller zu werden. Der Poncho kommt also wieder in den Rucksack.
Über Schi- und Mountainbikepisten geht es hinauf nach Clambin.
Das Combin-Massiv grüßt – auch ein netter Anblick. Weiter geht’s mit gemütlichem Schritt zur Bergstation Les Ruinettes. Die Sonne kommt sogar raus und die Wolken zeigen einen tollen Tanz.
Entlang der Bisse de Verbier führt dann ein schöner Weg hinauf zur Cabane Mont Fort auf 2457hm.
Auch ohne Reservation krieg ich ein kleines 2-Bett Zimmer zugewiesen. Hier oben treffe ich zum ersten Mal ein älteres, aus Wales stammendes Pärchen, das auch auf der Haute Route unterwegs ist. Die Unterhaltung tut mir gut.
– Fühle mich heute besser als gestern. Hier bin ich wieder in meiner Welt. Außerdem wird hier hauptsächlich Englisch gesprochen.


Montag, 8.8.2011
Die Cabane Mont Fort wurde kürzlich erweitert und bietet alles, was das Herz begehrt. Genügend Duschen inklusive. Auch ist der Hüttenwirt sehr freundlich und das Essen vorzüglich. Zur Duschmünze kriegt man sogar ein Handtuch dazu. Inzwischen sind auch Dimitri aus Israel und Sean und Nick aus New York hier, alle 3 auf der HR unterwegs.
Wir starten gemeinsam bei leichtem Regenschauer und steifer Brise in die heute Etappe. Entlang des „Sentier des Chamois“ geht es hinauf zum ersten Pass des heutigen Tages. Bald hört es auf zu regnen, die Brise bleibt. Es dauert nicht lange und wir erspähen tatsächlich die ersten Gämsen.
Ganze Rudel sind hier anzutreffen. Der Grand Combin, welcher gestern noch zu unser herüber gelacht hat, bleibt uns heute verborgen.
Bald holen wir Mr. und Mrs. Davis ein und machen gemeinsam am Col Termin Pause.
Die beiden werden vermutlich heute unterwegs campieren, so verabschieden wir uns, da wir etwas schneller sind. Die anderen drei laufen wiederum etwas schneller als ich, ich bleibe meinem Tempo treu.
Unterwegs sind heute riesige Moränen zu bestaunen, ein zurückgebliebener See und haufenweise schöne Bergblumen.
Bald stehen wir bei leichtem Schneefall am Col Louvie, dem zweiten Pass des heutigen Tages.
Vor uns eröffnet sich ein riesiges Steinmeer, die „Grand Desert“.
Über Fels und Stein geht’s dann hinauf zum Col de Prafleuri.
Tausende Markierungen und Steinmännchen weisen den Weg. Unterwegs treffen wir auf immer mehr Wandergruppen und ich mache mir langsam Sorgen, ob nicht eine Reservierung besser gewesen wäre.
Beim Abstieg vom Pass erleben wir dann noch eine nette Überraschung: eine Gruppe von 20 Steinböcken steht plötzlich vor uns. Sie scheinen die Menschen gewöhnt zu sein. Anstatt zu flüchten, kommen sie eher näher.
Ich verzieh mich nach ein paar Fotos – ist ja schließlich ihre Heimat hier und ich bin der Eindringling. Leider gibt es immer wieder Leute, die das anders sehen.
Als ich an der Cabane Prafleuri ankomme, das übliche Spiel: Oh lala, fully booked! – wait five minutes – nach 20 Minuten ist dann doch noch was frei im alten Bau. Aber ich glaube, es war wirklich knapp. Muss mich zwischen zwei deutsche Pärchen drücken. Die Hütte selbst ist alles andere als gemütlich, nur zwei Duschen. Und Frühstück gibt’s nur von 5 bis 7. Und um 7:30Uhr musst du draußen sein, zuvor solltest du aber noch das Bett machen. Die Prafleurihütte ist im Gegensatz zu den SAC-Hütten privat geführt und man fühlt sich hier kein bisschen als willkommener Gast. Eher als Gans, die gerupft werden will. Leider nicht zu empfehlen. Leuten mit Zelt ist es nicht erlaubt, auf dem Vorplatz zu übernachten, Leute ohne Halbpension müssen während dem Essen die Stube verlassen. Und im Haus wimmelt es von Computerausdrucken, die irgendetwas verbieten. Kein Vergleich zur Cabane Mont Fort.
Morgen geht’s nach Arolla. Es kreisen wieder Gedanken durch meinen Kopf, die Tour dort mit dem Bus/Zug abzukürzen. Die Entscheidung darüber treffe ich dort. Die nächsten Hütten – falls es dazu kommt, werde ich vorsichtshalber vorreservieren.


Dienstag, 9.8.2011
„Frühstück“ gibt’s von 5 bis 7. Sogar beim Kaffee ausschenken wird penibelst darauf geachtet, dass ja keiner eine Tasse nimmt, der nicht auch dafür bezahlt hat. Um 7:30Uhr musst du dann draußen sein.
Das schlimmste ist der Hygienebereich: 2 Duschen, 2 WCs, 2 Pissoirs und 4 Waschbecken auf 10 Quadratmetern, Männlein und Weiblein gemeinsam, die Pissoirs nicht mal abgetrennt. Was soll denn das? Über Nacht hat es leicht angezuckert, Betonung auf leicht. Bei leichtem Graupelschauer starten wir dann auch die heutige Etappe mit dem kurzen Anstieg zum Col des Roux (2804hm).
Bald hören die Niederschläge auf, es bleibt aber kalt. Wir überholen die beiden großen Wandergruppen, ich glaube das eine sind Engländer, das andere Russen. Alle haben nur leichtes Gepäck dabei, der Rest wird organisiert transportiert. Am Weg hinunter zum Lac des Dix sind dann wieder einige Steinböcke zu sehen.
In diesem See befinden sich angeblich 20% der gesamt in der Schweiz gespeicherten Energie.
Der angenehm flach zu gehende Weg entlang des Stausees endet am Pas du Chat.
Wo hier genau ein Pass sein soll, bleibt mir schleierhaft. Dann verabschiedet sich Dimitri, er wählt den kürzeren Weg über den Col de Riedmatten. Inzwischen ist auch Alejandra aus Toronto mit uns unterwegs, wir haben sie gestern auf der Hütte kennengelernt.
Es folgt ein schöner Anstieg über einen Moränenweg zur Cabane des Dix (2928hm).
Der Hubschrauber schaut auch grad vorbei und bringt die Dinge des täglichen Bedarfs.
Wir stärken uns und nehmen das Highlight des heutigen Tages in Angriff. Zuerst wollen die letzten Reste des Gletschers von Cheilon überquert werden, was aber dank der vielen Markierungen eine leichte Übung ist.
Die Leiter, welche uns über den Pas de Chevres (2855hm) bringen wird, ist schon von der Weite aus gut sichtbar, lediglich der Zustieg ist uns nicht ganz klar.
Es endet damit, dass wir über das Boulderwerk irgendwie hinaufkraxeln.
Die Leiter schaut dann imposanter aus, je näher man kommt.
Einer nach dem anderen wagt die Herausforderung und schon bald stehen vier zufriedene Haute Route Hiker oben am Pass und schütteln sich die Hände.
Der 1½h Abstieg nach Arolla ist dann nur noch lockere Draufgabe. Und das der Graupelschauer wieder einsetzt ist uns ziemlich Wurst.
Am Zielort angekommen trennen sich vorerst unsere Wege: die beiden Amis haben schon vorgebucht, deren Unterkunft ist noch ein gutes Stück weiter. Dima haben wir bis dato nicht getroffen.
Ich hege schon wieder Gedanken, die Tour abzubrechen. Die Motivation fehlt mir komplett. Habe heute mir „Ale“ darüber gesprochen – ihr geht es interessanterweise genau gleich. Es fehlt das Ziel, etwas Neues zu erreichen. Bei der ersten Tour war das komplett anders. Trotzdem – es sind noch 6 oder 7 Tage.
Nachdem ich noch einen Waschgang eingelegt hatte, bin ich hinunter zum Abendessen. Dort treffe ich Ale und wir teilen uns einen Tisch. Als Vorspeise gibt’s endlich wieder mal was Wurstiges, als Hauptspeise ein ausgezeichnetes Fondue. Den Obstsalat überlasse ich der Veganerin Ale. Wir haben einen netten Plausch und kommen drauf, dass wir beide mit dem Gedanken des Tourabbruchs spielen. Sie möchte ihre Zeit in Europa noch nutzen und auch was anderes sehen als Schweizer Berge. Ich entschließe mich zu einer radikalen Abkürzung: Von Arolla nach St. Niklaus mit Bus und Bahn, ich überspringe zwei Täler und 5 Etappen.
Es geht mir richtig gut bei dem Gedanken.


Mittwoch, 10.8.2011
Erfolgreich werden die beiden nächsten Übernachtungen in Gasenried und auf der Europahütte gebucht. Frühstück gibt’s hier wieder zu christlichen Zeiten: ab 8 (und nicht bis 7). Und endlich mehr als nur Weissbrot und Marmelade. Und auch der Kaffee wird merkbar besser, je weiter östlich ich komme.
Ich mache mir einen gemütlichen Vormittag, schreibe ein paar Postkarten und nehme am Mittag den Postbus in Richtung Sion.
In Le Hauderes muss ich umsteigen und treffe zufällig nochmals Ale. Sie hat sich für Lausanne und Luxemburg entschieden. In Sion entdecke ich einen McDonald und esse wieder mal was Ungesundes. Es schmeckt aber auch so. Weiter geht’s mit dem Zug durch das Rhonetal nach Visp, wo ich mir die Zeit bis zur Weiterfahrt mit Altstadtbummel vertreibe.
Dann geht’s mit der Matterhornbahn nach St. Niklaus.
Am Bahnhof begegnet mir eine große Gruppe japanischer Wandertouristen, ich muss schmunzeln. Gegen 16:00Uhr nehme ich den steilen Anstieg Richtung Gasenried in Angriff, welches ich 1½h später erreiche.
Dort finde ich auch auf Anhieb das Hotel.
– Ich bin froh, die paar Etappen übersprungen zu haben. Das macht für mich absolut Sinn. Auch wenn die Cabane de Moiry wahrscheinlich wunderschön gelegen wäre – mir egal. Ich nehme mir jetzt noch den Europaweg als krönenden Abschluss vor und gönne mir dafür einen Extratag in Zermatt.
Ich übernachte im Hotel Alpenrösli, wie vermutlich jeder, der in Gasenried übernachtet. Das Hotel wird von einem deutschen Pärchen geführt. Es macht den Eindruck, als ob er keine Ahnung vom Gastgewerbe hätte, mir kommt es vor wie ein Ferialpraktikant, ich amüsier mich köstlich! Gehe heute früh ins Bett und lese bis 23:00Uhr, in der Hoffnung, wieder mal durchschlafen zu können.



Donnerstag, 11.8.2011
Super geschlafen, gutes Frühstück! Der Himmel ist wolkenlos, am Morgen ist es noch ziemlich frisch.
Ich starte um halb neun. Bis zum Riedbach geht’s flach ins Tal hinein, von da geht der schöne Weg steil durch den Wald hinauf auf das Grathorn (ca. 2300hm).
Auf der gegenüberliegenden Talseite sind die bekannten Berner Eiger, Mönch und Jungfrau zu erkennen – nur in anderer Reihenfolge.
Direkt am Gipfelkreuz lässt es sich perfekt ausrasten, ich bleibe fast eine Stunde.
Nach einem kurzen Anstieg – die Baumgrenze ist inzwischen überschritten – kommt man zur Statue des Hl. Bernhard, dem Schutzpatron der Wanderer und Bergsteiger.
Jetzt wird der Weg immer steiniger und felsiger. Irgendwann geht’s nur noch über Felsbruch. Jeder Schritt will wohl überlegt sein.
Ca. zwei Stunden geht’s so mit leichten Auf und Ab´s weiter auf rund 2600m dahin.
Die steilen Stellen sind gut mit Seilen abgesichert.
Das Panorama ist fantastisch.
Das Matterhorn lugt schon hinten im Tal hervor, beeindruckender sind aber das Zinalrothorn und Weisshorn und was weiß ich, wie die gletscherbedeckten Gipfel alle heißen.
Unterwegs treffe ich heute immer wieder auf dieselben Leute, das ist ganz nett. Nach der Überquerung einer schwindeligen Hängebrücke erreiche ich kurz nach 4 müde, aber zufrieden die Europahütte.
Die Hütte hat eine sensationelle Terrasse.
Von der Hütte ist der weitere Wegverlauf des Europaweges zu sehen. Ein imposantes Geröllfeld wird von einer noch imposanteren Hängebrücke überquert. Ich schätze mal, das sind gut 200m Spannweite.
Die Brücke wurde jedoch von einem Steinschlag beschädigt und ist seit da gesperrt. Jetzt muss das Geröllfeld großräumig umgangen werden, was einen Umweg von ca. 2 Stunden bedeutet.
Ich werde morgen mal nach Randa absteigen und dort entscheiden, welchen Weg nach Zermatt ich wählen werde. Es ist auf jeden Fall verständlich, warum mit der Instandsetzung der Hängebrücke gezögert wird. Es knallt dauernd und man sieht laufend Steine runter schießen. Der Nachmittag auf der Hütte ist recht lustig. Eine geführte Wandergruppe, die ich schon unterwegs getroffen hatte (Danke für den Tipp mit dem Edelweiß) setzt sich zu mir an den Tisch. Eine bunt zusammengewürfelte Truppe von 2 Schweizern und 6 Deutschen, die gemeinsam den „Höhenweg zum Matterhorn“ machen. Start war in Brig, dann Simplonpass, Saas Fee, Gasenried und zum Schluss den Europaweg. Beim Abendessen sitz ich dann bei zwei älteren Pärchen aus Deutschland, die mir gestern schon im Hotel aufgefallen sind. Auch sie sind von Saas Fee gekommen, sind aber heute nicht den Europaweg gegangen, sondern über das Mattertal angereist. Ich glaube, sie sind zum ersten Mal auf einer Berghütte. Auch sonst sind viele Leute da, die gestern bereits im Alpenrösli waren, darunter viele Haute Route Hiker.
Um halb 10 kommt dann auch noch, wie angekündigt, ein Steinbock vorbei, um am aufgehängten Salzstein zu lecken. Vom Blitzlichtgewitter lässt es sich nicht beeindrucken – er scheint´s gewöhnt zu sein.


Freitag, 12.8.2011
Nach einer für Massenlager relativ ruhigen Nacht (kein Schnarcher) gibt’s um 7 Frühstück.
Anne aus der Winkingertruppe muss frühzeitig abreisen und so komme ich einfach und günstig zu einem Zimmer in Zermatt (und sie hat auch noch was davon). Ich habe beschlossen, den Europaweg mit all seinen Schikanen zu Ende zu gehen. So geht’s erst mal steil Richtung Mattertal hinunter, um die riesige Geröllhalde zu umgehen.
Es scheint keinen Weg hindurch zugeben: Sowohl der Versuch mit den Tunnels als auch jener mit der Hängebrücke scheint gescheitert – der Berg wehrt sich erfolgreich.
Beim Abstieg übersehe ich eine Abzweigung, treffe jedoch bald auf die die Reisegruppe, von deren Leiterin Sabine werde ich wieder zurückgeschickt. Zum zweiten Mal (nach dem Hinweis mit dem Edelweiß), dass ich diese Frau im richtigen Moment treffe. Alles in allem zum Glück nur ca. 20 Minuten Umweg!
Vom tiefsten Punkt, welcher nur knapp über der Talsohle bei Randa ist, geht der Weg durch einen Lärchenwald steil nach oben, um oberhalb der Baumgrenze noch steiler zu werden – bis irgendwann die ursprüngliche Höhe wieder erreicht ist.
Dann geht’s in gewohnter Weise weiter. Mit leichtem Auf und Ab zieht der Weg den Berg entlang. Dabei passiert ansonsten – nichts.
Der Europaweg – ein sonderlicher Pfad. Das Ziel ist das Ziel.
Angelegt, um den Ort Zermatt möglichst umständlich zu erreichen.
Nach einem langen Hatsch erreiche ich die Täschalp, wo ich mich mittels Gemüsesuppe und 3K stärke. Im Wissen, es sind jetzt nur noch 3 Stunden, gehe ich das letzte Stück ganz langsam und mache bei jeder sich bietenden Gelegenheit (sprich gute Sicht auf das Matterhorn) eine ausgiebige Rast.
In Tufteren treffe ich dann zufällig auf 3 Mitglieder der Wikingertruppe.
Gemeinsam nehmen wir den letzten Abstieg in Angriff. Dank des GPS von Dominik bleibt uns die Suche nach dem Hotel erspart.
- Es ist ein seltsamer Einmarsch in Zermatt. Ich bin eigentlich nur froh, dass ich da bin. Nicht mehr. Es stellen sich keinerlei Glücksgefühle ein. Angekommen an einem Ort, wo schon tausende sind. Wo der Alpinismus von einer perfekten Maschinerie vermarktet wird. Ein Berg – und die ganze Welt will ihn sehen.
Ich krieg ein Einzelzimmer mit Bad, welches ich gleich mal ausgiebig genieße (herrlich!). Nach dem Abendessen falle ich geschafft aber glücklich ins Bett.


Samstag, 13.8.2011
Als ich zum Frühstück komme, ist der Rest der Wikinger schon weg.
Den Vormittag verbringe ich mit einem gemütlichen Einkaufsbummel in Zermatt.
Ich besorge noch Geburtstaggeschenke für meine Götekinder. Den Plan, für mich selber noch neue Bergklamotten zu besorgen, verwerfe ich sofort, nachdem ich gesehen habe, wie viel der Matterhornaufschlag beträgt. Pfuh.
Am Nachmittag nehme ich dann noch die Seilbahn zum Schwarzsee und lasse die Magie des Matterhorns auf mich wirken.
Der Berg strahlt eine unheimliche Ruhe aus. Ich kann verstehen, dass jeder ihn sehen will.
Der Anblick lässt sich mit keinem anderen Berg vergleichen – er ist einzigartig. Ich habe ein Riesenglück mit dem Wetter, denn es ist strahlend schön.
Hin und wieder kommt ein Hubschrauber, umkreist den Gipfel, um gleich weiter Richtung Monte Rosa zu fliegen. Hier oben sieht man das ganze Spektrum der Bergsteigerei.
Vom absoluten Profi über die Möchtegerns bis zu jenen Leuten, die besser im Tal (oder besser noch in der Großstadt) geblieben wären ist alles vertreten. Abends gehe ich noch in die hl. Messe und im Anschluss daran setze ich mich auf ein Bänkchen mit einem letzten Blick aufs „Hora“
- und bin ganz bei mir.


Sonntag, 14.8.2011
Ich frühstücke heute ganz ohne Stress und freue mich auf die Heimfahrt mit dem Glacier Express.
Heute ist in Zermatt Folkloretag und so laufen haufenweise Schweizer in ihrer Tracht herum.
Vor dem Bahnhof gibt eine Alphornbläsertruppe ihr Bestes. Pünktlich um 10:00Uhr verlässt der Zug D908 den Bahnhof Zermatt. Der sehr gepflegte Schaffner überrascht mit Japanisch-Kenntnissen. Der Japaner vis-a-vis mit dem schütteren, zerzausten Haar ist nicht sehr gesprächig, was wohl an seinen geringen Englisch-Kenntnissen liegt. Zwei Tage sei er noch in der Schweiz. Mehr erfahre ich nicht.
Ganz anders die beiden Pakistanis im Abteil gegenüber. Wir unterhalten uns prächtig und die Zeit vergeht wie im Flug (und das im Zug ?!?). Sie machen einen Tagesausflug: Zürich – Zermatt – St. Moritz – Zürich. One-Day Special um CHF 39.-, nicht schlecht! Muhammad arbeitet in Zürich, Shamirah in London. Wochenendehe.
In Chur muss ich dann umsteigen und schaffe gerade noch den Rheintalexpress. Unser Zug hatte tatsächlich ein paar Minuten Verspätung. Das gibt es also doch in der Schweiz. Ich fahre bis nach St. Margrethen, gehe zu Fuß über die Grenze und nehme den Bus von Höchst nach Dornbirn. Die Überraschung mit dem Auftritt geht dann sauber daneben: Die Party hatte aufgrund des Wetterberichts schon gestern stattgefunden. Meine Schwester Barbara bringt mich nach Hause und so geht eine spannende Tour zu Ende.
- Eine Tour mit vielen Höhen und Tiefen. So war nicht so sehr durch körperliche Anstrengungen geprägt – vielmehr war es ein mentaler Kraftakt. Motivation statt Kondition stand diesmal im Vordergrund. Ich bin froh, das Ding genau so durchgezogen zu haben, wie ich es durchgezogen habe. 

Ich bin wieder ein Stück mehr ich selbst geworden.